Haben Sie keine Angst vor Kritik!
Wichtig beim Lektorieren und bei der Autorenberatung ist für mich ein freundschaftlicherund vertrauensvoller Umgang mit meinen Kundinnen und Kunden. Ich bearbeite Manuskripte völlig wertneutral, ziehe also keine Rückschlüsse auf den Menschen, der den Text geschrieben hat. Das bedeutet, dass meine Änderungsvorschläge nie auf die Autorin, den Autor zielen, sondern allein auf den Text. Ebenso, wie ich meine egenen Vorlieben für einen bestimmten Stil oder ein bestimmtes Genre beim Lektorieren völlig außen vor lasse. Verzichten Sie also bitte nicht auf ein Lektorat wegen Ihrer Ängste, beurteilt und korrigiert zu werden. Ich weiß selbst am besten, wie es ist, wenn man gar nicht genug Mauselöcher findet, in die man sich verkriechen möchte, und der Vorrat an Papiertaschentüchern nicht reicht für die Tränen.
Wie es mir erging …
Vor einigen Jahren wurde ich zu einem Schreibseminar mit Erich Loest auf Grund einer Ausschreibung des Verbandes deutscher Schriftsteller eingeladen. Wir waren natürlich alle sehr stolz darauf, aber Erich Loest kritisierte jeden von uns so, dass sicher alle abends in ihren Zimmerchen geweint haben, und es waren gestandene AutorInnen dabei. Einem Mann, der neun Jahre oder so in Bautzen gesessen hat, kann man halt nicht kommen mit „feinziselierten Tässchen aus Meißner Porzellan“, wie es in meinem Text stand. Später wurde ich bei den Schreibseminaren an der Bundesakademie für kulturelle Bildung so gnadenlos kritisiert, dass ich das Schreiben aufgeben wollte. Dabei hatte ich schon Preise gewonnen, war oft genug gedruckt worden und hatte diverse Lesungen gehalten. Tja, und dann kam der Durchbruch. Ohne diese ganze Kritisiererei hätte ich das nicht geschafft. Ich würde auch nie wieder Tässchen schreiben (siehe dazu http://juttas-schreibtipps.blogspot.com/search/label/Diminuativa).
Wie es anderen Schriftstellern erging …
Um nur ein paar Beispiele von bekannten Schriftstellern und Schriftstellerinnen zu nennen, denen es auch nicht besser erging. Gertrude Stein zerpflückte Hemingways Manuskripte, so dass er manche Szenen solange umschrieb, bis sie ihm gefielen, manchmal dreißig oder vierzig Mal. T. S. Eliot überarbeitete das Wüste Land zunächst selbst und strich es auf neunzehn Seiten zusammen. Aber dann gab er es Ezra Pound. Der sagte „Complimenti, du Hurensohn. Ich bin von allen sieben Eifersüchten geplagt“ und kürzte es per „Kaiserschnitt“, wie er das nannte, um die Hälfte zusammen. Sogar Goethe litt. Gellert, bei dem er Poetik-Vorlesungen besuchte, ließ an seinen Texten, die er bei den Vorlesungen schrieb, kaum ein gutes Haar und korrigierte fast jede Zeile und versah die Texte mit Randbemerkungen mit roter Tinte. Goethe warf die Arbeiten – die er für seine besten hielt – entnervt in den Herd. Brecht strich Ingeborg Bachmanns fünfzig Verse des Gedichts Thema und Variation auf fünf zusammen. Und in der Gruppe 47 soll es auch nicht gerade sanft zugegangen sein.
Aber …
Kritik richtet sich nie gegen die Person, sondern immer gegen den Text. Was nutzt es, wenn man einem Autor sagt, wie toll er schreibt, dass es an dem Text überhaupt nichts auszusetzen gibt, weil er super ist, phantastisch. Das ist er nämlich nie. Auch an Goethes, Schillers, Shakespeares und wem auch immer Texten ließe sich noch etwas ändern. Der Autor denkt, wie toll er ist, schickt unermüdlich seine Manuskripte an Literaturzeitschriften oder Verlage, beteiligt sich an Literaturwettbewerben und Ausschreibungen für Anthologien und wundert sich, dass er nirgends gedruckt wird. Und schließlich landet er bei den schwarzen Schafen, die ihm das Geld aus der Tasche ziehen, und sei es für den Druck eines Textes in einer Anthologie. Ach, hätte er doch seinen Text vorher lektorieren lassen …
Sinn meiner Arbeit ist nicht, den Stil einer Autorin, eines Autors zu ändern, sondern ihnen dabei zu helfen, den eigenen zu finden. Zeichnung: Franz Kafka